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Fortsetzung meiner Geschichte
die Fortsetzung meiner Geschichte:

Am 10. Tag wachte ich auf, befreite mich von Schläuchen, Kabeln und Verbänden und forderte, nach Hause gelassen zu werden. Die rechtsseitige Lähmung war weg. Die rechte Hirnhälfte hatte die Arbeit der zerstörten linken mit übernommen. Das Team der Intensivstation war fassungslos. Damit ich nicht wieder ins Koma fallen sollte, setzte man mich in einen Rollstuhl, fuhr mich damit auf den Korridor und stellte mir einen Fernseher her.
Mit den Nachrichten konnte ich nichts anfangen. Ich dachte, alles sei falsch. Der amerikanische Präsident und vieles andere.
Ich habe Familie und Freunde erkannt, meinem Vater nachträglich zum Geburtstag gratuliert, aber ich wusste nicht mehr, wo ich wohnte, viele andere Erinnerungen der vergangenen Jahre waren einfach nicht verfügbar. Vor dem Unfall hatte ich rund 100 Telefonnummern im Kopf, danach waren es noch drei.

Nach einigen Tagen wurde ich auf eine Normalstation verlegt und nach ein bis zwei Wochen in die HNO-Klinik. Immer mehr merkte ich, was alles nicht mehr ging. Ich funktionierte nicht mehr! Das machte mich wütend. Diese Wut wandelte sich in Energie. Ein Buch oder eine Zeitung lesen konnte ich nicht, weil das linke Auge in der neuen Augenhöhle direkt an der Nasenwurzel saß und mir deshalb die Zeilen durcheinanderrutschten. So bat ich meine Mutter, mir Patiencekarten mitzubringen. Ich trainierte Denken und Konzentration mit dem Legen von Patiencen. Als die Patiencen wieder aufgingen, wollte ich auch wieder schnell denken üben. Also suchte ich mir Skatspieler unter den Mitpatienten. Ich fand immer welche. Und wir hatten viel Spaß. Nur eines wunderte mich: wenn ich einen Witz erzählte, lachte kaum jemand. Erst Monate später löste sich dieses Rätsel, als mich eine Freundin anstaunte mit dem Ausspruch: "Du sprichst ja wieder normal!"
Niemand, auch nicht der sonst gedankenloseste Mensch hat mich spüren lassen oder darauf aufmerksam gemacht, dass ich sehr langsam und leise sprach.
Hätte es jemand getan, hätte er mich möglicherweise für immer zum Schweigen gebracht.

Wo ich wohnte, war mir im Laufe des ersten Monats in der HNO- Klinik wieder eingefallen. Etwa drei Monate blieb ich in der HNO- Klinik. Dann wurde ich in die Neurologische Klinik in Hessisch- Oldendorf verlegt. Dort blieb ich knapp vier Monate.Therapien, Krankengymnastik, Übungsbüro, Deutschunterricht, Mathematik, Gedächtnistraining und vieles mehr. Es war ein Vollzeitjob.
Kurz vor meiner Entlassung erfuhr ich von der Oberärztin, dass jemand mit den Verletzungen, die ich erlitten habe, kaum überlebt und nur selten wieder auf die Beine kommt. Wenn das aber doch gelingen sollte, erfordere das einen mindestens dreijährigen stationären Aufenthalt in einer Reha-Klinik.

Knapp zwei Monate nach der Entlassung aus der stationären Behandlung, begann ich eine Arbeit in einem Büro, die mir während meiner stationären Behandlung angeboten worden war, als ich selbst noch nicht glaubte, je wieder irgend etwas von dem zu können und zu wissen, das ich vor dem Unfall wusste und konnte. Diese Arbeit bewältigte ich recht gut. Allerdings gab es so manchen Tag, an dem ich vor Schmerzen nicht arbeiten konnte, und auch manchen Tag, an dem ich nicht zu anspruchsvolleren geistigen Leistungen in der Lage war. Zur Verdeutlichung: an einem Tag konnte ich anhand von Gesetzestexten einen Hausverwaltervertrag entwerfen und formulieren, am nächsten Tag war ich gerade mal in der Lage, Ergänzungslieferungen abzuheften.

Innerhalb von etwa zwei Jahren tauchte das meiste meiner verlorenen Erinnerugen wieder auf. Es zeigte sich, dass ich nur die richtigen Schubladen im Aktenschrank meiner Vergangenheit finden musste. Suchen half da nicht. Ich fand einfach und beschriftete die Schubladen, damit sie nicht wieder verloren gingen. Und immer wieder, wenn ich meine Vergangenheit komplett gefunden zu haben glaube, tut sich eine neue Schublade auf. Dabei sind aber auch Schubladen, die nicht durch den Unfall verschüttet, sondern von mir verdrängt worden sind. Das sind böse Erlebnisse, deren Erinnerung ich vorher nicht gewachsen gewesen wäre.
Es kann leicht auch passieren, dass man mehr findet, als man möchte, wenn man fürs Finden offen ist, weil Suchen nicht hilft.

Irgendwann stellte sich heraus, dass ich einem Vollzeitarbeitsplatz gesundheitlich nicht gewachsen war. Wir reduzierten die Wochenarbeitszeit. Nachdem ich dann wegen einer Betriebsverlegung entlassen werden musste, weil ich für einen Ortswechsel in die neuen Bundesländer nicht stabil genug war, stellte sich einige Monate später heraus, dass ich einer regelmäßigen Arbeit  wohl nie wieder gewachsen sein würde. Erwerbsunfähigkeit wurde ein Jahr später festgestellt.

Ich kann wieder vieles tun, bin aber keinem Leistungsdruck gewachsen. Die Dinge, die ich nach dem Unfall neu erlernen musste, muss ich immer wieder trainieren. Setze ich mit dem Training aus und fordere mich nicht, wirft mich das zurück.
Viele Handicaps sind geblieben, aber überwindbar und von aussen nur für das geschulte Auge zu erkennen. Organisch bin ich inzwischen sogar so weit wiederhergestellt, dass meine Gesundheitsrisiken kaum höher sind als bei einem gesunden Menschen.
... und, wer wissen möchte, wie erlebnisreich das Koma sein kann, klicke einfach hier:


Es denke bitte niemand, dass ein Mensch, der im Koma liegt, unlebendig oder so gut wie tot sei!
Viele Menschen können während des Komas sekundenweise die Umwelt wahrnehmen und dann in ihren Koma-Traum mit aufnehmen. Bei mir ist das so geschehen. Ich kannte das Personal der Intensivstation schon, als ich aufwachte.
In den sogenannten "Wachsekunden" kann sogar eine Kommunikation möglich sein.

Und Menschen im Wachkoma können durchaus alles um sich herum wahrnehmen, ohne dann aber selbst merkbar reagieren zu können.
Deshalb achte bitte jeder Mensch jeden, auch diejenigen, denen nicht anzumerken ist, was sie wirklich hören oder sehen können!